JAHRESRÜCKBLICK: Das war mein Fotojahr 2019

von Erik Boß

Januar: Eingang zum U-Bahnhof Oranienburger Tor. Das Fotojahr 2019 begann für mich im Regen. Eigentlich zaubert der Regen in der Dunkelheit ja schöne Lichter. Aber das Fotografieren ist extrem. Direkt nach der Arbeit bin ich mit der Tram in die Stadt. Temperaturen nahe am Gefriefpunkt, ebenso meine Hände nach einer Stunde.

 

Januar: Weg im Erpetal in Friedrichshagen. Früh morgens, gleich nach dem Frühstück, bin ich los. Bei Frost zeigt sich das Erpetal von seiner schönsten Seite.

 

Januar: Nach der Arbeit bin ich mal durch die Plattensiedlung in Hohenschönhausen gelaufen. Hier entstand dieses Farbfoto. Oft suche ich meine Fotoziele auf dem Stadtplan aus, die ich schnell nach der Arbeit erreichen kann.

 

Februar: Nachdem so viel über die Siemensbahn gesprochen wurde, sind wir mit unserer kleinen Fotogruppe mal hingefahren. In die verlassenen Bahnhöfe kommt man ohne weiteres leider nicht hinein. Die sichtbaren Reste dieser ehemaligen Bahnstrecke waren aber auch so ziemlich beeindruckend.

 

Feburar: Unter der Hochbah am Bahnhof Schlesisches Tor stehen Menschen an einem Imbiss. Hier bin ich auch nach der Arbeit hingefahren. Ich hatte mir die Aufgabe gestellt, mehrmals immer und immer wieder um die Ampelkreuzung zu laufen, in beide Richtungen. Dabei ist auch dieses Bild entstanden. Es ist tatsächlich so, dass sich immer neue Sichtweisen erschließen.

 

Februar: Diese Kajüte eines Binnenschiffes ist mir am ehemaligen Osthafen vor die Linse gekommen.

 

Februar: Der Mercedes-Benz-Platz ist eine kommerzielle Retortengegend geworden. Ich empfand diese Szene im warmen Nachmittagslicht vor einem Bauzaun so etwas wie den letzten Gegenentwurf für diese Gegend.

 

Februar: Hohenschönhausen hat nicht nur Plattenbauten, sondern auch den Orankesee. Ein Kleinod, das auch Winter sehr schön ist. Mit dem Fahrrad brauche ich nur zehn Minuten von meiner Arbeitsstelle.

 

Im März konnte ich in meinem Blog mit Katzenfotos überraschen, sonst überhaupt nicht mein Thema für Stadtfotografie. Aber ich hatte kaum noch Bilder und so sind die Aufnahmen dieser Verkaufsausstellung ein Zeugnis dafür, dass ich natürlich Katzen mag, aber doch mehr zu Hause.

 

März: Eigentlich wollten wir mit unerer Fotogruppe gar nicht ins Nicolaiviertel. Aber es begann zu regnen und wir konnten uns dort unterstellen und sind dann auch wegen des Regens noch in die Nicolaikirche gegangen. Irgend jemand hat der Skulptur diesen Stock untergeschoben. Für mich war das ein Angler, der an der Spree seinen Gedanken nachhängt.

 

März: Meine erste Fahrradaktion in diesem Jahr. Wir haben an einem Sonntagmittag für eine schnelle und sichere Radverbindung durch Adlershof protestiert.

 

Im April kam der Frühling nach Berlin, auch in denTreptower Park, wo dieses Foto entstand. Ich habe gemerkt, dass das Thema Stadtgrün für mich immer wichtiger wird.

 

April: Neue Schönhauser Straße. Auch hier bin ich nach der Arbeit hingefahren. Wie entsteht solch ein Foto? Meist brauche ich eine Weile, bis ich in der Gegend angekommen bin, dann fange ich an zu sehen. Wenn es gut läuft, beginnt ein "Flow", dann fallen mir in kurzer Zeit viele Bilder zu. Ich suche dann nicht mehr, die Bilder kommen zu mir. Irgendwann ist der "Flow" vorbei, und er kommt an diesem Tag auch nicht wieder.

 

April: Auf der Startbahn vom neuen, bisher unvollendeten Hauptadtflughafen BER. Dort bin ich die 10 KM beim Airport Nightrun gelaufen. Ich hatte mein Handy dabei und bin ab und zu stehen geblieben, um ein paar Fotos zu machen.

 

April: Diesen schönen Schattenbaum habe ich in der Viktoriastadt entdeckt, wieder direkt nach der Arbeit. Das Viertel liegt direkt an meinem täglichen Heimweg. Ich fahre nahezu jeden Tag vom Betriebsbahnhof Rummelsburg bis zur Landsberger mit dem Rad.

 

Mai: Tiergartenstraße 4 (T4). Hier ist die Gedenkstätte für die ermordeten Patienten der Psychiatrie während der Naziherrschaft. Auf die Idee, diesen Ort zu besuchen kam ich in Wien, wo wir das Otto-Wagner-Spital besichtigt haben. Auch in Wien wurden Patienten ermordet. Es gibt dort auf dem Areal für jedes getötete Kind eine Stele mit einem ewigen Licht. Es sind über 700.

Auf meinem Foto von der Gedenkstätte in Berlin sieht man nur die schlichte blaue Glaswand. Aus dem Asphalt wächst Löwenzahn, der hier eigentlich nicht hingehört.

Bei Zygmund Baumann habe ich vor kurzem lesen können, dass es bereits vor dem Nationalsozialismus in der Ärzteschaft Vorstellungen vom idealen Menschen gab. Demzufolge auch immer Abweichungen vom Ideal. Die Nazis haben dieses Gedankengebäude aufgegriffen, in ihre abstruse Rassentheorie integriert und in eine verhängnisvolle Praxis umgesetzt. Die Abweichung musste vernichtet werden.

Und es gibt bei Zygmund Baumann noch eine weitere Erklärung für das Unrecht: Der Staat als Gärtner. Der Staat hat Vorstellung, was schön ist, wo etwas hingehört. Unkraut dagegen stört und muss vernichtet werden. Die Wildnis erscheint als Bedrohung. Ein Gedanke, der heute wieder auftaucht, wenn es um die Vernichtung der gerade erst mühevoll angesiedelten Wölfe geht. Die Autorin Ulrike Fokken hat in ihrem Buch "Wildnis wagen" sehr eindrücklich beschrieben, wie sehr uns die moderne Zivilisation von der Natur entfernt hat. Dabei sind wir doch ein Teil dieser Natur. Es ist wichtig, uns wieder mit der Natur zu versöhnen. Wenn uns das gelingt, ist dies zugleich das Ende der Vernichtungsphantasien, die tagtäglich aus der rechten Ecke in die Welt getragen werden.

 

Mai: Ein Radfahrer fährt über die Spree in Oberschöneweide. Hier war ich wieder mit meiner kleinen Fotogruppe unterwegs.

 

Mai: Piano Salon. In einer großen Klavier-Werkstatt finden regelmäßig Konzerte statt. Eine einmalige Location im Wedding.

 

Im Mai war Europawahl. Die Grünen haben bundesweit ihr bestes Wahlergebnis erreicht.

 

Mai: Holzmarktstraße. Hier bin ich nach der Arbeit mit dem Rad hingefahren, und als ich dann dort war, ist es eine Stadtgrün-Serie geworden. In Berlin haben wir immer alles: Stadtgrün und Blechlawinen, Süßes und Saures, Toleranz und Meckern. Fotografie kann helfen, den Blick zu schärfen.

 

Juni: Stadtautobahn nahe dem Tempelhofer Feld. Das war eine tolle Vorwegnahme der zukünftigen urbanen Mobilität in Berlin. Ich freue mich schon auf den Tag, wo ausschließlich Fahrräder auf der einen Spur und Elektro-Lieferfahrzeuge auf der anderen Spur die Autobahn benutzen dürfen.

 

Juni: Geschichtspark. Hier waren wir mit unserer kleinen Fotogruppe auf einem Areal, auf dem früher ein Gefängnis stand. Verständlich der Gedanke, hier fliehen zu möchten.

 

Juni. Die Klimakrise hat Berlin erreicht. Menschen müssen über Poller hüpfen, um ihren Zug am Bahnhof zu erreichen.

 

Im Juni habe bin ich wieder die Mauerstreifzüge mit Michael Cramer gefahren. Das Pferd ist uns im Süden von Berlin begegnet.

 

Juli: In Berlin gibt es viele Spuren von Vergangenem. Das ist wichtig und gut. Nicht im Sinne von folkloristischer Nostalgie, sondern im Sinne von Nachdenken und richtige Weichen für die Zukunft stellen.

 

Im Juli wieder ein Mauerstreifzug.

 

Im Juli bin ich nach der Arbeit mal nach Steglitz gefahren. Den Marienplatz kannte ich nicht. Sieht das nicht schön aus? Allerdings ist Hochsommer und nicht Herbst, wie das Bild suggeriert.

 

August. Zwei süße Hunde in einem geschmückten Garten. Det is Berlin.

 

August: Ehemalige Grenzanlagen in Pankow.

 

August: Streetart an der Warschauer Straße.

 

September: Mein letzter Mauerstreifzug an der Bornholmer Straße.

 

September: Künstleratelier in den Gerichtshöfen.

 

September: Herbstbäume vor der HTW in Oberschöneweide.

 

Oktober: Festival of Lights diesmal auch auf dem Alexanderplatz.

 

Oktober: Zwei nahezu gleich Häuser. Vorne der Industriekanal, im Rücken die Stadtautobahn. Berlin braucht neue Wohnungen. Aber wer fragt eigentlich, wie wir wohnen wollen.

 

Oktober: Diesmal hatte ich mir nach der Arbeit für meine Foto-Tour eine Aufgabe gestellt: Fotografiere das Licht. Selbstgestellt Aufgaben verändern tatsächlich die Wahrnehmung.

 

November: Im Gropiusbau ist mir das Licht dann noch einmal begegnet, diesmal ganz unverhofft.

 

November: Über Stolpersteine stolpere ich jetzt sehr oft beim Fotografieren. Nach dem Attentat von Halle hat sich die Situation drastisch verschärft.

 

Dezember: Unter der Stadtautobahn.

Dies sind Fotos aus allen meinen Serien im Jahr 2019. Gibt es so etwas wie einen roten Faden, einen gemeinsamen Nenner? Ich verstehe mich nicht als Chronist dieser Stadt. Ich fotografiere, was mich bewegt. Ich denke, es ist die Frage nach dem liebenswerten Lebensraum. Was macht das Leben in dieser Stadt angenehm. Was macht es so schwierig? Was davon ist sichtbar? Was lässt sich fotografieren? Ich glaube, das sind meine wichtigen Fragen. In diesem Sinne mit Schwung ins neue Jahr.

Erik Boß

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